Machu Picchu Panoramaansicht

Perspektiven der Inka Tradition

Nichts ist heilig, weil alles heilig ist.

Wenn ich Q’ero-Priester aus den Hochanden von Peru, Nachfahren der Inkas, nach Deutschland einlade, damit sie hier bei uns Einzelsitzungen geben und Zeremonien durchführen, erlebe ich oft, dass Menschen von ihnen als „heiliger Mann“ oder „heilige Frau“ sprechen, und genauso oft bezeichnen diese Menschen Orte wie Machu Picchu oder Quyllurrit’i als heilig.

Meiner Meinung nach gibt es nichts Heiliges, und gleichzeitige ist doch alles heilig. In diesem Artikel erkläre ich diese kontroverse Aussage und zeige auf, was sie vielleicht auch mit dir zu tun hat.

Es ist in unserer Gesellschaft durchaus üblich, das Wort „heilig“ zu verwenden und Q’ero-Meister oder Priester anderer Traditionen als heilig zu bezeichnen, Orte wie Machu Picchu oder Qoyllurrit’i so zu nennen und auch Dinge wie ein Misha (das Ritualbündel der Inka-Priester), ein Zeremonie-Poncho oder eine Despacho-Zeremonie. Was aber macht sie denn heilig? 

Für mich ist nichts wirklich heilig, weil letztlich alles heilig ist

Ich glaube, dass heilig in diesem Kontext verwendet wird, um diese Menschen, Orte, Gegenstände oder Handlungen vom Alltäglichen abzugrenzen, sie als etwas Besonderes, Liebenswertes oder Großes darzustellen. Aber ist es denn notwendig, diese Einzigartigkeit herauszustellen? Und heißt das nicht im Umkehrschluss, dass das Normale weniger gut ist?

Beleuchten wir mal dieses Thema aus Sicht der Inka-Traditionen und sehen es uns aus drei völlig unterschiedlichen Perspektiven an:

  1.  Aus Sicht von AYNI
  2.  Aus Sicht der drei Kräfte
  3.  Aus Sicht des Inka Samens 

1. Ayni: Geben und Erhalten

Für die Inkas besteht alles im Universum aus Energie, alles lebt und alles ist mit allem verbunden. Alle Lebewesen in der Natur geben und erhalten etwas zurück, und die Energie fließt auf perfekte Weise, solange ein Austausch ohne jegliche Erwartung stattfindet.

Aus Sicht der Menschen bedeutet Ayni: Ich gebe etwas, weil ich der Meinung bin, dass es richtig ist, und dafür erhalte ich vom Leben mehr davon zurück. Wenn ich gleichermaßen geben und annehmen kann, fließt die Energie frei und das Leben fühlt sich leicht an.

Ayni beschreibt zum einen, wie wir Energie in perfekter Harmonie fließen lassen können, aber Ayni zeigt dadurch auch, dass alle Lebewesen ein Teil des großen Ganzen sind, gleich wichtig und daher auch gleich wertvoll sind. Wir alle geben und wir alle erhalten etwas zurück.

Lebe ich das Ayni, fließt Energie und wird das Leben leicht

Ein Blick in die Natur verdeutlicht diese gegenseitige Wechselwirkung und Abhängigkeit. Mensch und Tier atmen Sauerstoff ein und CO2 aus. Bäume und Pflanzen nehmen dieses CO2 auf, transformieren es und geben Sauerstoff zurück, den Mensch und Tier wieder einatmen, um dann wieder CO2 zurückzugeben. Sind Menschen deshalb besser als Bäume? Zählen Blumen mehr als Tiere? Richtig – diese Frage stellt sich gar nicht, denn alles hat seine Berechtigung.

Dieselbe Situation stellt sich bei Besuchen der Q’ero-Meister und Meisterinnen. Sind sie bessere Menschen als wir hier in der westlichen Welt? Sind sie weiterentwickelt oder gar heilig? Richtig – auch diese Frage stellt sich nicht, denn letztlich ist es doch so: Ohne die Erfindungen der westlichen Welt könnten diese Menschen aus Südamerika nicht in so kurzer Zeit zu uns kommen, und ohne unseren Wohlstand könnten sie (für ihre Verhältnisse) nicht so viel Geld verdienen. Ohne die Meister aus den Hochanden wiederum könnten wir keine authentischen Einzelsitzungen erhalten und auch nicht die Sprache Qechua hören.

Wenn wir diese Sichtweise von Ayni, dass alles mit allem verbunden ist und wir alle aufeinander angewiesen sind, in unser tägliches Leben integrieren, können wir ganz einfach eine leichte Beziehung zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu unserer gesamten Umwelt aufbauen. Daraus entwickelt sich eine neue innere Haltung, die Menschen nicht mehr nach ihrem Äußeren, ihrem Titel oder ihrer Kultur beurteilt, sondern nach ihrem tatsächlichen Taten.

 

Magie des Lebens ist der Einführungskurs in die Inka-Tradition
Magie des Lebens

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2. Die Entwicklung der menschlichen Kräfte

Die Inkas ordnen dem Menschen drei große Kräfte zu, nämlich Munay (Liebe und Gefühle), Yachay (Ideen und Gedanken) sowie Liankay (Tatkraft und Handeln). Je weiter das Bewusstsein eines Menschen entwickelt ist, umso mehr sind diese drei Kräfte in ihm harmonisch ausgerichtet, umso mehr Energie kann er bewegen und umso kraftvoller ist er. 

Einen Menschen nicht mehr nach seinem Äußeren oder seiner Kultur zu beurteilen, sondern nach seinem Tun und seinen Taten, wirft plötzlich ganz neue Fragen auf wie folgende: Ist ein Mensch in der Lage, seine Ideen auch in die Tat umzusetzen oder spricht er immer nur darüber? Hält er das, was er verspricht, auch ein oder findet er immer Ausreden? Spricht er liebevoll und wertschätzend über andere oder eher geringschätzig und abwertend?

Wie geht er mit Dingen und Gegenständen um – behandelt er sie gut oder ist er eher achtlos? Wie verhält er sich gegenüber seiner Familie, seinen Freunden und auch gegenüber fremden Menschen? Und wie verhält er sonst im Leben – streitet er gerne, ist er schnell beleidigt oder genießt man seine Anwesenheit und fühlt sich wohl? 

3. Aus Sicht des Inka Samens: Ein Tropfen von Gott in dir

In der Inka Tradition geht es darum, Energien zu bewegen und ins Fließen zu bringen. Sobald wir Energie in Bewegung bringen, wird sie leicht, werden wir leicht, wird unser Leben leicht und auch unsere Beziehung zu anderen Menschen.  Wir Menschen tragen von Geburt an einen Inka-Samen, genannt Inka Muju in uns. Einen metaphysischen Faktor, der uns von Wiraqocha („Vater Kosmos“), gegeben wurde. In diesem Samen schlummert all unser Potenzial, unsere Talente und Fähigkeiten, die es gilt, in diesem Leben auszuleben. Gleichzeitig sind wir aufgrund dieses Samens einzigartig und wir sind alle gleich. 

Was gibt es in uns Heiligeres als einen Tropfen von Vater Kosmos?

Was uns mit anderen Menschen verbindet, ist dieser Inka-SamenJeder Mensch trägt ihn von Geburt an in sichDer große Unterschied zwischen uns Menschen ist nur, inwieweit jeder sein innewohnendes Potenzial erkennt und auslebtEs gibt große Menschen, die viel Energie bewegen (also große Taten vollbringen), und kleinere, die weniger Energie bewegen. Egal, ob bewusst oder unbewusst, jeder bewegt Energie, jeder ist wichtig, jeder hat eine Aufgabe und trägt seinen Teil zum großen Ganzen bei. Jeder gibt etwas und jeder erhält etwas.  

Dieses Prinzip kann man auch bei den Apus erkennen. Ein Apu ist ein Berg, in dem ein Spirit wohnt, und dieser Apu wacht über die Menschen, wie ein Schäfer über seine Schafe wacht. Nicht jeder Berg ist automatisch ein Apu 

Apus sind in der Lage, sehr viel Energie zu bewegen und uns Menschen damit zu unterstützen – die kleinen Apus kümmern sich um die Menschen in einem Dorf oder einer kleinen Stadtdie mittelgroßen Apus um eine Gemeinde oder ein Bundesland und die ganz großen Apus sind für das ganze Land verantwortlich. Jeder Apu bewegt Energie – die hohen Berge mehr, die kleinen Berge weniger, aber alle tun ihr Bestes, alle haben ihre Aufgabe und alle sind gleich wichtig. 

Alles ist gleich wichtig, weil alles ein Teil des großen Kreislaufs von Mutter Natur ist

Der Inka Samen in uns allen ist ein göttlicher Faktor. Zu sagen, jemand anderes oder etwas ist heilig, heißt demnach auch, etwas anderes sei nicht heilig und indirekt auch weniger wertIn einem System, das von seiner Vielfalt lebt, in dem jeder eine Aufgabe hat und alles miteinander verbunden ist, macht eine solche Sichtweise jedoch keinen Sinn. 

Deshalb halte ich es für besser, entweder niemanden als „heiligen Mann“„heilige Frau“ oder „heiligen Ort“ zu bezeichnen oder eben alle. Es geht dabei nicht darum, das Wort „heilig“ aus dem eigenen Wortschatz zu streichen, sondern sich über die Bedeutung und die eigene Verwendung dieses Wortes mehr Gedanken zu machen. Für das eigene Bewusstsein ist es nämlich ein großer Unterschied, ob ich jemanden als heilig bezeichne, um ihn auf einen Sockel zu stellen, oder ob ich ihn als heilig bezeichne, weil ich seine Taten, Fähigkeiten oder seine Energie wertschätze.  

In dem Moment, wo wir uns vor Augen halten, dass alles aus lebendiger Energie bestehtalles miteinander kommuniziert und sich austauschen kannsehen wir, dass die Bezeichnung „heilig“ in den meisten Fällen wenig Sinn macht.  

Augustin Machacca und seine Frau arbeiten gemeinsam in schamanischen Ritualen und Zeremonien der Inkas

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